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Filmzeitschrift „F“ 1979 Essay von Herbert Holba* über den Film „Simmering“ von Alexander Schukoff und Reinhard Kofler SIMMERING Dokumentarfilm, 27 min, 1977-1979 Simmering ist der Name des 11. Wiener Gemeindebezirkes. Wer außerhalb wohnt und die Bezirksbezeichnung signalisiert erhält, assoziiert sie mit dem "Zentralfriedhof", Wiens größter Totengruft. Vorstadt ohne Vorstadtcharakter. Ein Areal ohne Profil, ohne spürbare Tradition und bemerkenswerte Geschichte. Durchzugsstraße zum Flughafen und, durchquert man sie stadteinwärts, Erholungsstrecke für den Autofahrer. Anhängsel einer Großstadt deren Reize nicht im Verborgenen blühen. Auch für die Anrainer bleibt er Außenseiter, kein Theater lockt, kein attraktiver Vergnügungspalast - und das einzige Kino bringt nichts Alternatives. Geistiges und optisches Brachland. Produkt einer Kommunalpolitik, die viel Geld ausgibt und und nur selten kreativ ist.
Alexander Schukoff und Reinhard Kofler, zwei junge Filmemacher, cineastische Spaziergänger, bemühten sich um Ortsbeschreibung. Die "Kinoglas"-Devise, das Leben filmen, so wie es ist erfährt durch sie ihre österreichische Interpretation: das Leben nicht ganz so filmen wie es nicht ist. Diese, für einen Nichtösterreicher nur schwer verständliche, Tatsachenbeschreibung hat Tradition: eine literarische, musikalische und politische. Ein Hauch von Zwischenraum muß dabei sein. Die Realität verändert sich nicht, nur der Standpunkt zu ihr. Auge und Verstand reagierten zunächst auf Reize, auf optisches Material. Zusammenhänge, Wechselwirkungen, Rudimentäres spürten sie erst später auf. Wahrscheinlich, als ihnen Menschen ins Objektiv liefen. Denn jeder Bezirk ist das Produkt seiner Bewohner. Selbst Mondkrater verändern sich durch äußere Einflüsse. Das sinnlich wahrgenommene und technisch Reproduzierte bleibt konkret. Man sieht Hirn, Magen und Beine eines Territoriums. Das Herz fehlt. Daran vermag auch die kluge, dem Kommentar sich verweigernde Montage nichts zu ändern. (Klug deshalb, weiI sie keine Allmacht vortäuscht.) Denn Simmering allein zu betrachten ist möglich, doch nicht effektiv, da jede periphere Sphäre aus einem Zentrum entsteht und an dessen Motor angeschlossen ist. Der zweite Akt aus Schillers "Räuber", losgelöst von den anderen hat auch seine Reize, doch einen zwangsläufig veränderten Stellenwert. Durch das Pathos von Fakten und durch den Enthusiasmus der Fakten sprechen zu wollen stellt ein Risiko dar. Die Filmemacher gingen es ein. Simmering ist Simmering. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Stärke des Bildberichtes wurzelt vor allem in seiner Naivität. Sie wirkt auf den Zuschauer ungeheuer vitalisierend. Grandma Moses mit richtiger Darstellung der Perspektiven. Das provoziert, legt Schwachstellen des Zuschauers bloß. Ignoranz und Gleichgültig gegenüber Simmering fälIt auf: Denn Pfadfindertum kann man belächeln, aber nicht abschieben. Die Agitation für Simmering wird durch Simmering erreicht. wer sich mit dem Gesehenen abfindet läuft Gefahr, demnächst demontiert zu werden. Schukoff und Kofler benutzten die Hintertreppe, um ins Parlament zu gelangen. Die Teilchen, aus denen sich Simmering und sein Film auseinandersetzt, gehen ins Auge und machen es tränen. Der Balken im Lid drückt auf das Gewissen: Der Mensch als wichtigste Produktivkraft der Gesellschaft könnte nämlich auch Simmering verändern. Und da Simmering ein Teil Wiens und Wien ein Teil Österreichs und... Bleibt noch die Frage zu beantworten, wodurch sich das Opus von ähnlichen österreichischer Provenienz unterscheidet. Durch das spürbare Bemühen seiner Hersteller, das Material für sich sprechen zu lassen und daß sie mit dieser Technik an die Grenze der Wahrheit gerieten. Das Problem Simmering zu lösen war nicht ihre Absicht.
Daß sie es aufspürten und nicht zerredeten, ist eine weitere und wesentliche Qualität. |